Absteige statt Hotel
- Peter Schapitz

- 22. Nov.
- 9 Min. Lesezeit
Ein Angelleben im Wasser
Wie du aus „unangelbaren“ Ufern deinen geheimen Luxusplatz machst!

Es gibt Gewässer, die dir beim ersten Blick praktisch ins Gesicht lachen und sagen:„Vergiss es, hier wirst du eh nichts fangen.“
Zu dicht bewachsenes Ufer, Stege nur an den falschen Stellen, Boot und Futterboot verboten, FFH-Gebiet mit Naturschutzauflagen und die paar zugänglichen Angelplätze passen nicht zur Jahreszeit oder zum Wind.
Die meisten würden sagen: „Dann angle ich halt woanders.“
Das habe ich auch lange gemacht. Und es hat sich jedes Mal wie Kapitulation angefühlt. Irgendwann habe ich dann beschlossen:
Ich kündige dem Komfort-Hotel und ziehe in die Absteige – direkt ins Wasser.
1. Von Satzungen, Verboten und Schlupflöchern
Wer sich mal ernsthaft durch Fischereigesetz, Gewässerordnung, Vereinssatzung und Naturschutzauflagen wühlt, merkt schnell: Wir sind angeltechnisch inzwischen ordentlich beschnitten. Boot? Oft verboten. Ufer umbauen? No-Go. Ufervegetation schneiden? In FFH-Gebieten kannst du dir das komplett abschminken.
Was aber fast nie irgendwo explizit steht:
„Es ist verboten, im Wasser zu sitzen und aus dem Wasser heraus zu angeln.“
Ausnahme: Es gibt ein klares Watverbot, dann ist die Sache durch! Ende der Diskussion.
Ich will hier keine Rechtsberatung geben (mach dir bitte immer dein eigenes Bild und lies deine Gewässerordnung komplett!), aber in vielen Satzungen ist das Sitzen im Wasser schlicht nicht geregelt. Und genau da fängt es an, spannend zu werden.
Statt also mit der Astschere heimlich Schneisen ins Schilf zu schlagen, kam bei mir der Gedanke:
„Was wäre, wenn ich einfach gar nichts kaputt machen muss – weil ich gar nicht erst ans Ufer ziehe?“

2. Camp im Wasser: Gummihaut statt Uferluxus
Stell dir vor: Dein Bivy steht nicht klassisch am Ufer, sondern du lebst quasi mitten im Wasser! Am oder knapp im Flachwasserbereich, in Wathose, Gummistiefeln, auf Podesten, Matten oder stabilen Unterlagen. Ein Leben in der Gummihaut eben.
Die Vorteile liegen brutal auf der Hand:
Kein Fußvolk, keiner stolpert bei dir durchs Camp.
Keine badenden Hunde, kein Beachvolleyball am Nachbarspot.
Kaum Angeldruck, an diesen „Unplätzen“ hat noch nie jemand ernsthaft geangelt.
Mehr Sicherheit beim Nachtangeln, wer dich nicht sieht, kommt auch schwerer auf dumme Ideen.
Weniger Nervkram mit Wild & Nagern:
Ratten, die dir über den Schlafsack laufen. Eher unwahrscheinlich im Wasser.
Wildschweine, die deine Futtereimer massakrieren. Schwierig, wenn das Camp 5 m vom „trockenen Land“ weg steht.
Mehr Natur: Du bist mitten drin. Geräusche, Temperatur, Wasserbewegung, alles viel intensiver.
Natürlich hat alles seine Kehrseite:
Bewegung ist eingeschränkt, du bist wirklich ein Stück weit „ans Bivy gekettet“.
Camp-Aufbau ist aufwändiger, gerade beim ersten Mal.
Du wirst Aufmerksamkeit bekommen! Vom Verein, von Raubfischanglern, von Bootsleuten (falls erlaubt):„Was macht der Typ DA bitte?!“
Und ja, vielleicht wird irgendwann die Satzung angepasst. Aber vielleicht auch nicht. Es gibt genug Gewässer da draußen. Wichtig ist: Du zerstörst nichts, du nutzt nur eine andere Ebene des Gewässers. Eine die nicht so ganz geregelt ist.

3. Warum sich der Aufwand fischereilich lohnt
Jetzt kommt der spannende Teil: Warum sollte man sich das überhaupt antun?
Kurz gesagt: Weil du dir damit einen Spot schaffst, der sich anfühlt wie ein unbefischtes Gewässer innerhalb eines stark beangelten Sees!
An solchen Uferabschnitten liegen normalerweise keine Montagen.
Es gibt keinen Dauerlärm, kein Einwerfen, keine Futterraketenorgien.
Fische können hier relativ ungestört ihre Routen ziehen.
Genau hier setzt die Wissenschaft an:
Karpfen lassen sich wie kaum eine andere Fischart über wiederholtes Anfüttern an ganz bestimmte Plätze konditionieren. Der Futterplatz wird in kürzester Zeit fester Teil ihrer Route.
Gleichzeitig wissen wir aus Studien von Arlinghaus: Karpfen können Hakvermeidung lernen, also nach Fang (oder sogar nur nach Kontakt mit Montagen). Sie sind in der Lage weiterhin am Futterplatz auftauchen, dabei aber den Haken zu meiden.
Tracking-Experimente zeigten: Fische besuchen Futterplätze, nehmen Futter auf, schaffen es aber, Haken anzusehen, anzutesten und zu vermeiden oder den Haken nach der Aufnahme wieder auszusortieren.
Was heißt das jetzt für uns?
Anfüttern funktioniert gut, aber:
Überfischen eines Spots kippt das Ganze: Die Fische sind da, aber du bekommst sie nicht mehr, oder schwieriger an den Haken.
Plätze mit wenig Angeldruck sind klar im Vorteil, weil dort weniger gelernt wird und die Fische vorsichtige Muster später entwickeln.
Genau darum ist diese „Absteige-im-Wasser-Methode“ so stark! Du kombinierst einen nahezu jungfräulichen Spot mit strukturiertem, moderatem Anfüttern.
Und jetzt kommen wir zur Taktik dahinter.

4. Der Platz: 100 Meter Wildnis statt Stegromantik
4.1. Wie ich Spots für „Wasserleben“ suche
Ich suche mir zuerst längere Uferabschnitte, die:
offiziell beangelt werden dürfen,
aber praktisch nicht zugänglich sind (Schilf, Gestrüpp, Steilufer, etc)
möglichst ab 100 m Länge aufwärts.
Dann geht’s an die Unterwasserkarte:
Deeper / Echolot
Drohne (wo erlaubt / sinnvoll, z. B. für Struktur & Zugänglichkeit des Ufers)
Markerfloat (mit wechselbleien für beste Auskunft über Bodenstruktur)
Ich suche dabei nach:
Kanten, Rinnen, Plateaus
Fressbahnen in Wassertiefen, die zur Jahreszeit passen
Strukturen, an denen sich Karpfen gerne „aufhängen“, bevor sie in Flachwasser ziehen
Ergebnis: Ein Spot, der fischereilich Sinn ergibt, aber vom Ufer aus praktisch niemandem zur Verfügung steht.

4.2. Minimalistisches Camp – aber taktisch gedacht
Ein paar Eckpunkte, die sich bei mir bewährt haben:
Camp so minimal wie möglich, farblich und von der Silhouette her unauffällig.
Platz nicht dauerhaft belagern, nicht jedes Wochenende, keine Dauersessions über Wochen. Ideal ist ein Kurzurlaub unter der Woche.
Füttern nur im Dunkeln, um neugierige Blicke zu vermeiden.
Zugangsweg nie vom Land! Möglichst getarnt bzw. nicht als „Trampelpfad“ sichtbar. Am besten durch benachbarte Möglichkeiten einsteigen.
So verlängerst du die Lebensdauer deines Platzes enorm. Neid und Nachahmer gehören nun mal zur Szene. Je unspektakulärer dein Auftritt wirkt, desto länger bleibt es dein Wohnzimmer.

5. Leben in der Gummihaut: Praxis & Sicherheit
Romantisch klingt es, aber: Sicherheit zuerst!
5.1. Ausrüstung für die „Absteige im Wasser“
Je nach Untergrund:
Gummistiefel
Watstiefel
Wathose (Pflicht, wenn du tiefer und länger im Wasser bist)
Stabiler Stand:
Rutschfester Untergrund (Totholz entfernen, auch kleine Äste bürgen Risiken)
Standfester Untergrund (im Hellen nach Löchern suchen)
Licht:
Stirnlampe griffbereit, aber nachts gedimmt, rote LED, um nicht das halbe Gewässer auszuleuchten.
Großer Scheinwerfer für den Notfall.
Ein Problem, das ich selbst ständig hatte:
Ich springe nachts beim Biss aus der Liege, natürlich ohne Schuhe und stehe klatschnass im Wasser.
Meine Lösung: Ich habe die Abhakmatte direkt so positioniert, dass meine Gummistiefel dort bereitstehen, quasi vor der Liege „eingerastet“. Sobald ich aufstehe, steige ich automatisch in die Stiefel. Klingt simpel, rettet aber Nerven und trockene Füße. Automatismus Siegt da leider.
5.2. Rutenposition & Drill
Gerade bei „Hook and Hold“-Situationen im Hindernisbereich:
Rutenenden sollten direkt neben deinem Kopf liegen.
Du verkürzt so die Reaktionszeit enorm.
Wenn du nicht völlig am Limit ablegst, funktioniert der Drill problemlos aus dem Wasser heraus. Teilweise sogar von der Liege.
Plane in deiner Methodik ein, dass du im Ernstfall ein paar Sekunden länger brauchst, um zur Rute zu kommen! Gerade in tieferem Wasser.
6. Die 5-Phasen-Futterpyramide
Fische konditionieren, nicht domestizieren!
Jetzt zum Herzstück: dein Futterplan. Ich arbeite hier gerne mit einer Futterpyramide in fünf Phasen, die perfekt zu dem passt, was wir über Karpfen aus der Forschung wissen. Arlinghaus und Kollegen haben gezeigt, dass Karpfen extrem gut konditionierbar sind. Sie lernen Futterplätze schnell zu nutzen, wenn diese regelmäßig Futter liefern. Gleichzeitig wissen wir: Je stärker der Angeldruck, desto mehr lernen Fische, Haken zu meiden und werden entsprechend vorsichtiger.
Unser Ziel sollte sein: Vertrauen aufbauen, den Platz zu etablieren, aber nicht in ein Boilie-Massenmastlager zu verwandeln.
Phase 1 – Zündung (Feinfutter, 5x im 3-Tage-Takt)
Ziel: Fische anziehen, Aktivität erzeugen, ohne sie zu überfüttern.
Futter:
Feines, hochattraktives Futter. Alles, was du auch zum Feederangeln nutzen würdest (z. B. Feeder-Mix, zerkleinertes Grundfutter, Micro-Pellets, kleine Partikel).
Menge:
300–400 g pro Fütterung.
Einbringen:
Je nach Distanz: Futterrakete, Schleuder, Wurfkelle.
Rhythmus:
Alle 3 Tage, insgesamt mindestens 5 Fütterungen. Denn Vertrauen braucht Zeit.
Das ist die Initialzündung: Du erzeugst Suchaktivität, kleine Futterwolken, viele Einzelpartikel. Perfekt, um die Fische länger am Platz zu halten.

Phase 2 – Partikelaufbau (Mais & Bohnen)
Ziel: Sättigung leicht erhöhen, größere Happen einführen.
Futter:
Dosenmais
oder Kidneybohnen
oder Kichererbsen
Rest Feinfutter langsam reduzieren
Menge:
ca. 400 g pro Fütterung.
Rhythmus:
2–3 Fütterungen im 3-Tage-Intervall.
Hier gewöhnst du die Fische an größere Happen, ohne gleich mit Boilies um dich zu werfen. Karpfen reagieren sehr gut auf solche energiereichen, leicht aufzunehmenden Partikel und die Aufnahmegeschwindigkeit ist hoch, was die Verweildauer am Platz erhöht.

Phase 3 – Übergangsphase (Boiliecrush & halbe Murmeln)
Ziel: Karpfen auf deine späteren Hakenköder konditionieren, ohne Misstrauen zu wecken.
Futter:
Dosenpartikel (Mais/Bohnen) weiter nutzen
Boiliecrush
Halbe Boilies
Eine Handvoll ganze Boilies
Größen Variieren
Menge:
ca. 300 g pro Fütterung.
Rhythmus:
2–3 Fütterungen, jetzt alle 2 Tage.
Wichtig: Du erhöhst den Anteil an Boilie-Komponenten, aber lässt Partikel bewusst drin, um die Aufnahmefrequenz hoch zu halten. Das spornt die Fische an, intensiv zu suchen und verschiedene Happen durchzuprobieren.

Phase 4 – Boilie-Dominanz (viertel, halb, ganz)
Ziel: Überführen auf das spätere Hauptfutter, das du auch am Haken angelst. Zeitgleich die anderen Weißfische allmählich loswerden.
Futter:
Mix aus viertel, halben und ganzen Boilies. Keine Partikel mehr!
Menge:
400–500 g pro Fütterung.
Rhythmus:
Alle 2 Tage, mindestens 3 Fütterungen.
Du etablierst Boilies jetzt als Hauptfutter. Durch die Bruchstücke zwingst du die Fische weiter, intensiv zu suchen und Happen zu sortieren. Genau da passieren zuverlässig Fehler im „Kontrollsystem“ der Fische, was deine Hakenköder interessant macht.
Phase 5 – Pflegephase (Regelmäßigkeit schlägt Masse)
Beispielwoche zur Spotpflege:
Montag:300–400 g Boilies (Größe passend zu deinen Hakenködern)
Mittwoch:200–300 g Boilies
Freitag:Ansitz → ansonsten 200 g Boilies
Samstag:Ansitz → ca. 50 g pro Rute (gezielt am Rig)
Wichtiger als Grammzahlen ist:
Regelmäßigkeit: Karpfen lernen auf „verlässliche Futterquellen zu reagieren“.
Keine Gier: Wer den Spot täglich mit Kilos zuschüttet, domestiziert Fische eher, als dass er sie fängt. Viel hilft nicht immer viel. Schont auch den Geldbeutel.
Die Forschung zeigt eindeutig: Futterplätze werden schnell angenommen, aber bei permanentem Stress (Haken, Drill, Landung) verlagert sich das Verhalten hin zu vorsichtigeren, schwer fangbaren Fischen. Du willst keine Mastbullen, sondern ehrliche Bisse auf durchdachte Hakenköder.
Mein Mantra hier:
Investition in Qualität statt Quantität.Versetz dich in die Fische und befriedige ihren Bedarf, nicht deinen Futtertrieb.

7. Angeln am Wasserplatz: Rigs, Setups & Hook and Hold
7.1. Mein Setup aus der Praxis anhand einer Session
Ruten
1× 13´ 2,75 lb Tactical Twin (Naheinsatz)
1× 13´ 3,5 lb Tactical Intense (Distanz)
1× 5 lb Tactical Spod
Rollen
Penn Tidal XT
Montage
3oz Ankerblei am Safety Clip
0,60 mm Monoschlagschnur 10m
Hauptschnur: einfache Geflecht
Rigs:
1× Multirig mit Snowman, 17er + Poppi
1× Multirig mit 17er Bodenköder
7.2. Drillen aus dem Wasser
Hook and Hold funktioniert hier extrem gut, wenn du:
die Ruten kurz und direkt auf Hindernisse ausrichtest,
Bremsen nicht auf „Freilauf-Spaziergang“ stellst,
körperlich nah an den Ruten bist (Rutenenden neben dem Kopf ist kein Witz, sondern Taktik).
Du agierst aus dem Wasser heraus in einer Art „Frontlinie“, die sehr viel Druck aufs System bringt – ähnlich wie aus dem Boot, aber mit deutlich weniger Show.
8. Wildlife-Bonus: Keine Ratten, kein Schwarzwild
Ein Punkt, den man erst zu schätzen weiß, wenn man ihn erlebt hat:
Ratten, die dir nachts über den Schlafsack krabbeln. Kann man sich sparen.
Wildschweine, die im Dunkeln durch die Eimer pflügen. Passiert eher selten, wenn die Eimer im Wasser oder direkt am Wasser campen.
In meinen Sessions im Wasser hatte ich bisher genau eine Nutria, die sanft brummend vor meinem Camp stand. Völlig entspannt, kein Problem. Verglichen mit diversen Begegnungen an klassischen Uferplätzen ist das: Luxus.

9. Ethik & Nachhaltigkeit – Querdenken heißt nicht „drauf geschissen“
Bei aller Schlupfloch-Romantik: Nur weil etwas nicht explizit verboten ist, heißt das nicht, dass alles automatisch cool ist.
Ein paar Grundsätze, die ich mir selbst auferlegt habe und zwar unabhängig der Gewässerordnung:
Keine Ufervegetation beschädigen.
Kein Müll, keine Spuren. Der Platz soll nach dem Abbau aussehen, als wäre dort nie jemand gewesen.
Keine Dauerbesetzung. Andere sollen das Gewässer weiter „normal“ nutzen können.
Futtermengen im Rahmen halten. Pauschale Maßnahmen sind selten sinnvoll.
Querdenken heißt für mich: Gesetze kennen, Spielräume nutzen, aber nicht auf Kosten von Natur und Fischbestand!

10. Fazit: Absteige statt Hotel, probier’s aus!
Mit diesem Artikel will ich dich nicht dazu überreden, ab morgen alle deine Bivys ins Wasser zu stellen.
Ich will dir zeigen:
Dass Gewässer, die auf den ersten Blick „unbeangelbar“ wirken, oft brutal viel Potenzial haben.
Dass du mit etwas Mut, Gummihaut und einer durchdachten 5-Phasen-Futterstrategie einen Platz aufbauen kannst, der sich anfühlt wie dein persönliches Privatgewässer.
Dass du dabei naturverbundener unterwegs bist als an einem perfekt freigeräumten Angelsteg.
Die intensivste Naturverbundenheit habe ich bisher beim Watfischen in abgelegenen Flüssen erlebt. Aber ganz dicht gefolgt von genau diesen Sessions „aus dem Wasser heraus“. Es ist anders. Es ist unbequem. Aber es ist ehrlich und unglaublich belohnend.
Also: Schau dir manche Gewässer nochmal neu an. Lies die Satzung. Denk quer. Such dir deine eigene Absteige, statt immer nur ins bequeme Angelhotel einzuchecken.
Ich bin mir ziemlich sicher: Du wirst belohnt!

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